RUTH KNECHT & PETRA DEUS
KNOCHENARBEIT MENSCHLICH NACH STRICH UND FADEN
Konzeptkunst und Performance
18.07.2020 - 29.08.2020
im Projektraum des Kunstvereins 68elf, Gottesweg 102, 50939 Köln
Der traditionsreiche Kölner Kunstvereins 68elf stellt in der Ausstellung ‚Knochenarbeit menschlich nach Strich und Faden‘ aktuelle Arbeiten zweier Künstlerinnen nebeneinander, die seit drei Jahrzehnten immer wieder zu Kooperationen fanden, weil ihre Interessensschwerpunkte sich inhaltlich berührten und überlagerten. Von ihren individuellen künstlerischen Standpunkten aus fragen Petra Deus und Ruth Knecht nach den Bedeutungen und Bedingungen von Werden und Vergehen, von Gewinn und Verlust, Geburt und Tod. En passant erforschen sie dabei die Wurzeln und beobachten den Ausdruck von Identität und Persönlichkeit. Mit der schonungslosen Neugierde von Humanwissenschaftlerinnen dokumentieren sie den Verlauf wie auch die Ergebnisse physischer Verfallsprozesse oder verleihen profanen Alltagsgegenständen und -Verrichtungen auf dem Wege der ästhetischen Sublimation Poesie und Würde. Beide wählen unter anderem Sprache als abstraktes Ausdrucksmittel und nutzen Begriffssetzungen als exemplarische, wirkmächtige (Frage-)Zeichen.
Ruth Knecht arbeitet sowohl in ihren als Concept-Collagen bezeichneten grafischen Arbeiten als auch in Performances und Objekten mit menschlichen Knochen, die sie als Friedhofsabfall aufgelöster Gräber entdeckte und vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt. Sie stellen exemplarisch die Frage danach, was ‚am Ende‘ bleibt und welche Bedeutung und Wichtigkeit Dauerhaftigkeit überhaupt haben kann. Die mit eingescannten Knochenteilen ‚geschriebenen‘ Wortpaare eröffnen einzeln oder zusammen gelesen Assoziationsalternativen, die spielerisch zu tieferem Hinterfragen des Wortsinnes führen. So weist der Schmetterling mit Namen Trauermantel – ohnedies auf Grund seines Lebenszyklus ein Sinnbild der Transformation - einerseits auf die Trauer über einen möglichen Verlust hin und offeriert andererseits den wärmenden Mantel als Schutz und Hoffnung auf Trost.
m Garten als idealtypische ‚Welt im Kleinen‘ schöpft Ruth Knecht nicht nur persönlich Kraft, sondern findet auch Inspiration zu Bildern, die von zyklischer Wiederkehr, von Verlust, Vergänglichkeit, Tod, Angst, wie auch von Heilung und Erlösung in einem alltäglich verfügbaren ‚Paradies‘ sprechen. Als Tabubruch und wortwörtliches ‚Ausgraben‘ eines Teiles der eigenen Geschichte und Identität kann die ebenfalls aus einer Grabauflösung stammende Schädeldecke einer Großmutter der Künstlerin gelten, die Ruth Knecht vor Jahren barg, seitdem hütet und zum zentralen visuellen Bestandteil ihrer performativen Arbeiten macht. Das hergezeigte, anschließend gleichsam reinkorporierte Schädeldach der verstorbenen Ahnin wirkt als starkes Zeichen der Versöhnung und der damit erzwungenen biografischen Konfrontation. In ihrer Performance‚ sprach los‘ zelebriert die Künstlerin dies stellvertretend für ihr Publikum.
Petra Deus Zeichnungen auf Papier nähern sich dem menschlichen Wesen über die reduzierte, figurative Darstellung seiner körperlichen Beschaffenheit und seines Ausdrucks in Bewegung mit Graphit und rotem Buntstift in teils gestischen, dynamischen, immer hochsensibel die Form erspürenden Linien. Gezeigt wird das Leben als Tanz – aus Lebenslust und Freude, zur Feier des eigenen Körpers, als heilender Ausdruck der Seele. Aber auch abgründig als ständige Bewegung zum Tode zu einem ungewissen Zeitpunkt hin, und über den Tod hinaus in eine zwar ungewisse, in Petra Deus Darstellungen aber zugleich tröstlich helle, luzide Zukunft. Die Ausstellung ermöglicht mit ihrer Präsentation sehr gut, den Prozess der künstlerischen Aneignung eines Motivs und dessen Transformation in ein Werk, von der Skizze über mehrere Varianten bis zu einer Arbeit auf Stoff, nachzuvollziehen.
In ihren textilen Bildern – mit ausschließlich rotem Faden auf benutze, recycelte Stoffe teils mit der Hand, teils mit der Maschine gestickt und genäht - spricht die Künstlerin eindringlich und einfühlsam über die Fährnisse, die jede menschliche Existenz begleiten: Geburt, Krankheit, Verlust, Trauer, Tod, aber auch Liebe, Nähe, Vergebung, Versöhnung und Trost. Die formal freien, nicht naturalistischen Darstellungen beziehen ihre expressive Kraft und Wahrheit aus Petra Deus überaus genauer, in langjähriger körpertherapeutischer Praxis geschulter Beobachtung von Körperausdrücken. In kleineren Formaten reicht der Künstlerin eine fast bis zum Ornament reduzierte Form als Chiffre für grundsätzliche menschliche Themen: das Labyrinth für die Suche nach dem rechten Lebensweg, die Blume als Anspielung auf Werden und Vergehen, eine kleine, angedeutete Figur mit in den Himmel emporgereckten Armen für Transzendenz.
Kleine serielle Stickarbeiten auf Stoff, die ‚Denkzettel‘, sind so gestärkt, dass sie frei im Raum stehen, hängen oder liegen können und dabei ganz objekthaft, haptisch und eigenständig wirken. Einzelne Worte oder kurze Sätze, wie zum Beispiel Innehalten, Zuversicht, Es lohnt sich oder Stille, sind buchstäblich ‚dahingeworfen‘ und veranlassen zum Innehalten - eine kurze Alltags-Unterbrechung, eine heilsame Kunst-Pause zum Nachdenken und auf sich selbst Besinnen. Eine Assemblage dieser Arbeiten wirkt in einem Koffer präsentiert wie ein Werkzeugkasten zur Lebensbewältigung.
Beiden Künstlerinnen liegt auch aus langjähriger Verbundenheit mit der in Köln seit den 60ern Jahren stark vertretenen Fluxus-Bewegung am Herzen, Kunst im täglichen Leben zu verorten und sie als Kraftquelle für Betrachter dort zugänglich und wirksam zu machen. Zum großen Teil vor Verbreitung der Corona-Pandemie geplant und konzipiert, erhält die Ausstellung der Arbeiten von Petra Deus und Ruth Knecht vor dem Hintergrund der aktuellen Umstände, Herausforderungen und Ängste vieler Menschen hohe thematische Brisanz und Kraft. Ein mögliches, wünschenswertes Ergebnis der Ausstellung könnte sein, Besuchern Inspiration und Mut zu geben, ihren persönlichen offenen inneren Fragen ins Auge zu sehen und nachzugehen - und so Aufmerksamkeit, Sensibilität und Bereitschaft für einen respekt-, ja liebevollen Umgang mit dem Leben und der Natur in allen ihren vielfältigen Formen zu stärken. Kunst und Natur, das alte streitende Paar – gehören für Ruth Knecht und Petra Deus zusammen.
Text: Sabine Klement, Köln im Juli 2020